E-Mail Legends: Erkki Rautio (a.k.a. pHinn)
de:bug, April 1999

[This article in English, as it was originally written for de:bug magazine]


De:Bug Lounge

Lounge

Alles neu macht der April. In unserer ultraschicken, gerade erst ausgepackten Lounge, zwingen wir Menschen auf die Couch, die das Licht der Öffentlichkeit eigentlich scheuen wo nur geht. Kameraden, die sich in der geruchs- und geschmacksfreien Welt der Emails wohler fühlen, als beim direkten Gespräch mit Gleichgesinnten, Vordenkerinnen, die an schnelleren Proxies schuften und gerade nicht zum Briefkasten können, weil sich im Assembler-Code plötzlich ein Wurmloch auftut. Menschen also, die unsere Aufmerksamkeit und Anerkennung verdient haben, die versuchen, das Netz mit Inhalt zu füllen oder diesen überhaupt erst ermöglichen. Unser in der ganzen Welt erfolgreich operierendes Team von gnadenlosen Headhuntern schmiert Systemoperator, um die Adressen unserer potentiellen Opfer zu erfahren, legt Fangschaltungen, installiert Tretmienen oder kauft in Hong Kong ein Dutzend Hühnerköpfe. Alles um der Enthüllung elektronischer Superstars wegen.

Diesen Monat: Erkki Rautio, Email-Legende und verbriefter Experte finnischer Elektronik. Und damit ist nicht Nokia gemeint.

mailto:trerra@uta.fi

Erkki Rautio: selbsternannter Informationsminister der finnischen Knackmusik

John Fanning
DJEntox@aol.com

Übersetzung: Thaddeus Herrmann

Es muss ungeföhr 1995 gewesen sein, als Erkki Rautio im Internet auf diversen Mailinglisten auftauchte, die sich mit den verschiedenen Spielarten von Techno beschäftigten. Eine davon war die 313-Liste... strictly Detroit. Dort haben wir uns kennengelernt. Worüber wir uns zuerst ausgetauscht haben, weiss ich gar nicht mehr. Es muss aber etwas mit der Tatsache zu tun gehabt haben, dass er in Tampere in Finnland lebte, ein Land, von dem man in den USA, wo ich lebe, so gut wie gar nichts weiss. Schnell wurden wir elektronische Freunde. Erkki trug damals Informationen zusammen über die sich gerade entwickelnde finnische Technoszene: Sähkö, Aural Expansion und DUM Records. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Die Hingabe, mit der in den letzten vier Jahren jeden Schnipsel, der irgendwie wichtig sein könnte, gesammelt, geordnet und auf seiner Webpage veröffentlicht hat und höchst eloquent in seinen Mails durch die Welt streut, ist schier unglaublich. Braucht man Neuigkeiten für seine Jimi Tenor Fanpage, bei Erkkis pHinnWeb wird man fündig. Er ist der Experte, an dem niemand vorbeikommt, nicht nur was die Musik angeht. Links zu Kultur, Philosophie gibt es gleich noch dazu. Fragt Bekannte, die auch Musik-Mailinglists abboniert haben. Erkki kenne alle. Und alle lieben ihn.

Warum nun ist er eine "Email-Legende"? Der Kontrast, ihn zunächst über seine Mails und dann persönlich in Finnland vor gut einem Jahr kennenzulernen, macht das deutlich. Seine Mails sind witzig und geistreich, gespickt mit Witzen über Britpop und Depressionen, über die wahrscheinlich nur wir beide uns amüsieren. Im Gegensatz zu seinen lebendigen Emails ist Erkki ein sehr ruhiger, schüchterner und melancholischer Typ, der ein bisschen so aussah, als ob er Finnland ein grosser Zoo sei und er sich als "Ausstellungsstück" in seinem Gehege ganz und gar nicht wohl fühlte. Einfach, weil er mindestens so schlau ist wie ein Professor und er wichtige Forschungsergebnisse mit Kollegen in aller Welt austauschen muss, per email versteht sich. Mit ihm abzuhängen war seltsam. Er war alles andere als gesprächig, und ich hatte das Gefühl, dass der Erkki, der die genialen Mails schreibt, nicht so richtig durch die düstere Hülle dieses Finnen durchkam.

An einem Abend legten wir schliesslich gemeinsam in einem Club in Tampere auf. Selbst an den Plattenspielern macht er den Eindruck eines Professors, der eine gebeatmatchte Vorlesung über Detroit und Finnland-Techno hält. Er nickte im Takt zur Musik, blieb dabei aber immer ernst. Der typische Amerikaner, der ich bin, klopfte ich im andauernd aufmunternd auf den Rücken und verwuschelte ihm die Haare. Dann lächelte selbst er, die Introvertiertheit kam aber schnell wieder, warum, kann ich mir bis heute nicht erklären. Zurück in den USA wartete jedenfalls schon ein fröhliche email auf mich.

Wie Erkki es schafft, bei all den Mailinglisten den Überblick zu behalten, ist und bleibt mir ein Rätsel. Er schreibt Mails, hält seine Site in Ordnung, legt auf und arbeitet als freier Journalist. Nur wenige Menschen, die ich kenne, sind dazu fähig.

Fest steht, dass Erkki einer von Tamperes glänzenden Sternen ist und für die finnische Szene ebenso wichtig ist, wie die Musiker, über die er schreibt.

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Email the legend at:
trerra@uta.fi oder phinnweb@sci.fi.

pHinnWeb: http://www.phinnweb.org/

Copyright © John Fanning/de:bug 1999. Reprinted with permission.


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